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Sexualität von innen und von aussen


Sexuelle Erregung hat verschiedene Ausgangspunkte:

Sexualität von aussen angeregt

Eine Sexualität von aussen ist angeregt durch äussere Stimuli wie zum Beispiel einen knackigen Körper, sexy Kleider bzw. Unterwäsche, Toys, pornographische Bilder/Filme, Fantasien, Rollenspiele usw. Die Stimuli sind vorwiegend visuell geprägt und wirken direkt auf den genitalen Antrieb.

Erregung und Orgasmus gehen oft einher mit einer steigenden Anspannung des Körpers. Der Orgasmus ist meistens kurz und wird vorwiegend in den Genitalien empfunden.

Der Vorteil dieser Art von Sexualität ist, dass die oben genannten Stimuli fast unbegrenzt vorhanden sind und du dich mit ihnen beinahe jederzeit und überall sexuell stimulieren oder andere verführen kannst. Klappt der Sex nicht, kannst du die Stimuli anpassen, bis die Anregung/Erregung wieder da ist. Es gibt auch Pillen/Substanzen, die eingenommen werden können, um das Erleben zu verstärken. 

Der Nachteil daran ist, dass die Stimuli nach einer gewissen Zeit ihren Reiz verlieren, bzw. die Dosis nicht mehr reicht und darum ersetzt oder gesteigert werden müssen. Es braucht andere sexy Kleidung, andere Filme, andere Toys, machmal auch andere Menschen. Beim König der Stimuli, der Internet-Pornographie, kann es passieren, dass Menschen überstimuliert werden und beim Sex mit einem realen Menschen wenig oder nichts mehr empfinden.

In Liebesbeziehungen kann Sex, der von aussen angeregt ist, ein schneller und einfacher Zugang zu sexueller Erregung und erfülltem Sex sein. Weil die Anregung visuell von aussen geprägt ist und die Aktivierung vor allem die Genitalien betrifft, besteht eher die Gefahr von Stress und Performance-Druck, der sich negativ auf die Lust auswirken kann.
Manchmal führt diese Art von Sex dazu, dass sich Beteiligte nicht gemeint fühlen von ihrem Gegenüber.  
 

Sexualität von innen angeregt 

Eine Sexualität, die von innen kommt, ist angeregt von Emotionen - wenn dich etwas berührt, wie z.B. ein tiefes Gespräch oder das Gefühl von Verbundenheit mit einem anderen Menschen. Von innen her erregend wirken auch achtsame, präsente Berührungen am ganzen Körper. In diesem Verständnis von Sexualität ist Sex nicht etwas, das jemand tut, sondern zeigt, wer jemand ist. Diese Sexualität ist von Achtsamkeit geprägt, also vom Gewahrsein des Augenblicks, einer Präsenz in der Begegnung (siehe auch Einführung Achtsame Berührung sowie andere Berührungskurse).

Erregung und Orgasmus gehen oft einher mit einem entspannten Körper, der wellenförmig in Bewegung ist. So können Erregung und auch Orgasmus über eine längere Zeit erfahren und im ganzen Körper wahrgenommen werden.

Der Vorteil von dieser Art von Sex ist, dass du nichts brauchst ausser dich selber und ein Gegenüber, mit dem du in einen emotionalen Kontakt gehen kannst. Du brauchst nichts zu machen oder zu erfüllen, sondern kannst einfach dich selber sein, so wie du im Moment gerade bist, mit allen Bedürfnissen und allen Grenzen. Wichtig dabei ist die Kommunikation - verbal und nonverbal.

Der Nachteil ist, dass ihr Zeit braucht, um im Moment anzukommen und zu entspannen. Solange du mit Alltagsgeschehen und Stress oder auch unausgesprochenen Befürchtungen, Ärger usw. beschäftigt bist, bist du durch dein Denken abgelenkt und ein Kontakt von innen - von der Wahrnehmung her - ist nur schwer möglich.

In Liebesbeziehungen beschert diese Art von Sex eine überraschende Kontinuität. Er wird nicht langweilig, solange du selber neugierig, ehrlich und aufmerksam im Moment bleibst und dich gehen lassen kannst, in das, was gerade ist. Weil wir alle jeden Tag und jede Stunde immer wieder "andere sind", erlebst die du auch die Begegnungen mit deinem Gegenüber immer wieder neu. Sie sind nährend und bescheren einem tiefen Genuss.
 

Wege zu einer Sexualität von innen nach aussen

Kommunikation über deine momentanen Gefühle/Emotionen/Befindlichkeit (siehe Ebene zwei und drei der verbalen Berührung) ist ein wichtiger Schlüssel zu einer Sexualität, die von innen angeregt ist. Diese Kommunikation fördert das Vertrauen und das Gefühl von Verbundenenheit mit dem Gegenüber und wirkt als natürliches Aphrodisiakum (siehe auch Hinweis am Seitenende).

Es braucht Mut, sich mit den eigenen Gefühlen und Befindlichkeiten zu zeigen und ist mit dem Risiko verbunden, verletzt zu werden. Vor allem Männer, aber auch viele Frauen haben schon früh gelernt, die eigenen Gefühle nicht zu zeigen oder sie überhaupt nicht mehr wahrzunehmen. Verschiedene, im Laufe des Lebens angeeignete Schutzmechanismen versperren darum den Weg zu "risikohaften" Gefühlen - und damit auch, über diese zu reden. Denn bei einer Offenbarung von schwierigen Gefühlen besteht das Risiko, vom Gegenüber nicht gehört oder belächelt zu werden, was sehr verletzend sein kann.

Jedoch, es lohnt sich, das Risiko einzugehen, denn:

  • Etwas verstecken oder verheimlichen fördert negative Gefühle und entfernt dich von deinem Gegenüber.
  • Dich ehrlich mitteilen in einem vertrauensvollen Miteinander kann negative Gedanken auflösen und ein Gefühl von einer emotionalen Verbundenheit entstehen lassen.
  • Sich mit einer Person verbunden fühlen, die ehrliche Gefühle ausdrückt, generiert oft erotische und sexuelle Energie.
  • Die intime Verbindung vertieft sich proportional zum Level des gegenseitigen Vertrauens.

In dem Ausmass, in dem du deine eigenen Gefühle kennen und ausdrücken lernst, in dem Ausmass wächst auch die Nähe zu anderen Menschen. Emotionale Ehrlichkeit kann eine liberalisierende Erfahrung sein. Sie bringt Offenheit, Authentizität und Intimität in Beziehungen. Du gelangst dabei mehr und mehr von einer Selbstdarstellung zu einer Selbstwahrnehmung.
 

Dieses Wissen ist auch in einem der aktuellsten klinischen Lehrbücher zu finden:

Im Buch zur Behandlung von Sexuellen Disfunktionen bei Mann und Frau (Management of Sexual Dysfunction in Men and Women. An interdisciplinary Approach. Springer, New York 2016, Seite 11)  wird die Art von Initmität, die durch die oben beschriebene emotionale Ehrlichkeit entsteht, Psychological intimacy genannt:

"Psychological intimacy can be a powerful erotic stimulus. In certain contexts it is the most reliable and safest known aphrodisiac." 
"Psychologische Intimität kann ein starker erotischer Stimulus sein. In bestimmten Zusammenhängen ist sie das zuverlässigste und sicherste bekannte Aphrodisiakum." (Übersetzung mit Deepl.com)

Es freut mich sehr, dass diese Erkenntnis nun auch Einzug gehalten hat in die klinische Sexualtherapie.