Wie funktioniert das sexuelle Lernen?
Nervenendigungen für verschiedene Reize
In unserem Körper, und so auch in unseren Genitalien hat es unglaublich viele Nervenendigungen oder Rezeptoren (so nennt man die Enden der Nerven). Sie sind empfindlich für verschiedene Reize: die einen für Reibung oder Streicheln, die anderen für Druck, wieder andere für Vibration, andere für bestimmte Bewegungen, für das Anspannen von Muskeln, für Schmerz usw. Wenn eine Nervenendigung gereizt wird, schickt sie über die Nerven sogenannte Nervenimpulse (Nachrichten) an das Gehirn.
Das Gehirn muss erst lernen, Reize zu verstehen...
Wenn das Gehirn über die Nerven Information zugeschickt bekommt, weiss es zunächst einmal wenig damit anzufangen. Erst mit der Zeit lernt es, zwischen verschiedenen Nachrichten zu unterscheiden, sie als angenehm oder unangenehm zu erkennen und mit sexueller Erregung zu verbinden. Mit jeder Berührung, mit jeder Bewegung, mit jeder Muskelaktion werden die Bahnen zwischen den Nervenendigungen und dem Gehirn – also die Nerven – dicker und schneller. Und die Fläche, die im Gehirn für sie zuständig ist, wird immer mehr entwickelt.
... genau genommen muss es Schaltstellen bilden
Wie geht das, Schaltstellen bilden? In der Grosshirnrinde (genau gesagt im somatosensorischen Cortex) gibt es eine Stelle, die für Empfindungen in den Genitalien zuständig ist. Sie liegt, etwas verborgen, in der grossen Gehirn-Spalte oben am Kopf. Damit du etwas spürst bei einer Berührung, müssen sich an diesem Ort im Gehirn erst Synapsen bilden. Synapsen sind Schaltstellen zwischen Neuronen (Nervenzellen). Ohne Synapsen kann keine Information gespeichert und weitergeleitet werden. Synapsen bilden sich erst, wenn die Nerven, die von den Genitalien zu dieser Stelle im Gehirn laufen, oft genug Nervenimpulse schicken. Und das tun sie eben nur, wenn du die zuständigen Nervenendigungen oft genug berührst.
Verschiedene Gebiete, verschiedene Nerven
Verschiedene Gebiete der Genitalien sind ganz unterschiedlich «nervlich versorgt», und so hat es einen grossen Einfluss auf dein sexuelles Lernen, wo du dich genau stimulierst: An der Klitoris? An der Eichel? In der Vagina? Am Schaft? Zwischen den Venuslippen? An den Hoden? ....
Wiederholung bildet sexuelle Vorlieben aus
Was passiert nun, wenn du dich oft auf ähnliche Weise sexuell stimulierst oder stimuliert wirst? Dann werden die Bahnen zwischen ganz bestimmten Nervenendigungen und deinem Gehirn immer dicker und glatter. Dank vieler Wiederholungen laufen die Nervenimpulse, die zum Gehirn geschickt werden, so schnell wie auf einer Superautobahn. Und die Stelle im Gehirn, die dafür zuständig ist, wird dank immer mehr und dickerer Synapsen immer besser entwickelt. Auf deutsch heisst das: Das Gehirn lernt immer besser, deine Methode, dich zu stimulieren, eregend zu finden. Und folglich richten sich darum deine sexuellen Vorlieben auch danach aus.
Deine "Erregungstechnik" zeigt sich auch in deinen Fantasien
Interessanterweise "übersetzt" sich die Art und Weise, wie du beim Sex deinen Körper einsetzt, auch in deine sexuellen Fantasien: Wenn du bei der Selbstbefriedigung das Innere der Scheide massierst, entwickelst du mit der Zeit Fantasien davon, etwas (Penis, Finger, Dildo usw.) mit deiner Scheide aufzunehmen. Menschen, die ihre Muskeln sehr angespannt haben, wenn sie sich erregen, können Fantasien davon entwickeln, dass sie z.B. gefesselt und sehr hart genommen werden, bzw. sehr hart nehmen. Menschen, die ihren Körper stark bewegen und dadurch entspannter sind, entwickeln eher Fantasien davon, dass sie beim Sex aktiv und bewegt sind. Manche Frauen und Männer machen sich Sorgen über ihre Fantasien und fragen sich, ob sie normal sind. Ja, sie sind normal. Die Fantasien sind einfach ein Spiegel der eigenen Erregungstechnik. Und das heisst noch lange nicht, dass man/frau das auch leben muss.
Ungebrauchte Nervenendigungen sind wie holprige Feldwege
Nervenendigungen, die du nicht reizt, schlafen ein bisschen ein; ihre Bahnen zum Gehirn sind holprig wie Feldwege – und in der zuständigen Stelle im Gehirn bilden sich keine Synapsen - diese Stelle schlummert vor sich hin. Wenn eine Frau es sich z.B. gewohnt ist, sich nur durch Berührung der Klitoris zu erregen, kommt sie so wahrscheinlich zum Orgasmus. Aber sie kommt nicht über vaginale Stimulation zum Orgasmus. Vielleicht hat sie auch nur wenig Freude am Geschlechtsverkehr, weil sie fast bis gar nichts empfindet. Ihre Scheide ist sich Berührungen schlicht nicht gewöhnt - die Nervenenden sind nicht verbunden - die Frau hat keine Empfindung .
Das gleiche gilt für Männer, die sich bei der Selbstbefriedigung mit viel Druck und Geschwindigkeit erregen und zum Orgasmus bringen. Das heisst, sie brauchen diese Voraussetzungen auch beim Geschlechtsverkehr, was oft schwierig ist und noch öfter unangenehm für die Frauen. So bleiben auch Männer unbefriedigt. Auch bei ihnen geht es darum, Nervenbahnen zu stimulieren, die andere Berührungen wahrnehmen, z.B. eben langsame und sanftere.
Um Spass am Geschlechtsverkehr zu bekommen, müssen Frauen und Männer die ungenützten Feldwege und die brachliegenden Stellen im Gehirn erst durch viele Wiederholungen sanieren und ausbauen.
Wie viel muss geübt werden?
Es braucht viele Wiederholungen, bis das Gehirn lernt. Genau gesagt: Es braucht etwa 2'000-10'000 Berührungen an einem Punkt des Körpers, die über die Nerven ins Gehirn weitergeleitet wird, damit sich eine Synapse an der entsprechenden Stelle im Gehirn bildet. Nein, das heisst nicht 2'000-10'000 mal üben. Denn bei jedem Üben berührst du einen Punkt ja weit mehr als ein Mal. Aber selbst wenn du eine Stelle beim Üben 40 mal berührst, braucht es mindestens 50 Wiederholungen!!! Darum: Sei geduldig und gib nicht auf.
Quelle: www.lilli.ch